Leadership in Zeiten der Transformation zu einer wirkungsorientierten Wirtschaft

Ausgangslage

Der Begriff „Leadership“ wird leider sehr inflationär verwendet und muss für viele Arten von Führung herhalten. In der Gesellschaft, aber auch in der Wirtschaft, sind sogenannte starke Leader wieder sehr im Aufwind. Daraus folgt auch die Tendenz zu autokratischen Staatsführungen und einem Zurückdrängen von demokratischen Prinzipien. Die Individualisierung der Gesellschaft hat diesen Wunsch nach Orientierung und Führung noch verstärkt. Wie wichtig Führung im Zusammenhang mit der Transformation der Wirtschaft zu einer nachhaltigen und wertebasierten Wirtschaft ist, will dieser Beitrag vor dem Hintergrund großer Veränderungen beleuchten.

Definition „Leadership“

Im Grunde bezeichnet „Leadership“ die Fähigkeit, andere Menschen mit der eigenen Vision zu inspirieren und zu motivieren. Dabei zählen nicht nur inspirierende Worte allein. Leader verfügen über gewisse Werte und Überzeugungen und leben diese mit ihrem eigenen Handeln vor.

Für die bessere Umschreibung des Begriffs im Zusammenhang mit der nachhaltigen Transformation greife ich auf das Bild der sogenannten „Careoperative“¹ zurück:

Leadership braucht mehrere Zutaten, damit sie wirksam wird:

  1. Tiefe Wurzeln und einen fruchtbaren Boden auf dem Leadership gedeihen kann. Damit umschrieben ist eine stark wertebasierte Orientierung, die auf Langfristigkeit ausgelegt ist.
  2. Befruchtung anderer. Die Kommunikation, der Austausch und die Reflexion mit anderen ist ein wesentlicher Hebel für die Verbreitung der Botschaften.
  3. Eine neue Aussaat: Mitstreiter*innen, die bereit sind die Veränderungen mitzutragen und in die Tat umzusetzen.

Ad 1) Die Wurzeln:

Starke Leader sind Visionäre und Motivatoren. Sie bauen ihre Vision auf einer inneren Überzeugung und einem fundierten Fundament auf. Man könnte auch den Begriff der klaren Haltung verwenden, die nicht bei jedem Windrichtungswechsel wie das berühmte Fähnchen dreht. Aus meiner Sicht sind als Eigenschaften Empathie und Charisma zu ergänzen, die ein Leader mitbringen sollte. Denn Visionen und Werte müssen vermittelt werden. Die Kommunikation zu den Empfängern ist ein wesentlicher Teil und Personen mit Charisma haben dazu einen entscheidenden Vorteil: Sie berühren die Gefühlswelt des Empfängers, lösen gute Gefühle und stimmige Reaktionen aus. Ohne diese Fähigkeiten wird aus dem Inspirieren und Motivieren nichts. Ganz entscheidend für die Glaubwürdigkeit von Aussagen und Werten ist das aktive Vorleben und die Vorbildfunktion des Leaders. Große Worte verbunden mit Nicht-folgen von Taten sind Lippenbekenntnisse und zeugen nicht von starker Haltung.

Ad 2) Befruchtung anderer:

Leadership braucht Empfänger, Zuhörer*innen und Mitstreiter*innen. Die Kommunikation von Visionen und Werten braucht Kanäle zur Verbreitung. In Zeiten einer multimedialen Kommunikationslandschaft sind diese Botschaften heute kein Problem mehr. Die Gefahr einer Verfälschung der Inhalte ist allerdings bei nicht-persönlichen Botschaften groß. Und Charisma und Empathie wird auch nur im persönlichen Kontakt übertragen. Wichtige Botschaften werden nicht mehr über Videokonferenzen übertragen, sondern in persönlichen Treffen und Veranstaltungen.

Ad 3) Die neue Aussaat:

Die gewonnenen Mitstreiter*innen sind Multiplikatoren, die aus einer Vision Taten folgen lassen. Erst eine vielfache Verwirklichung von Ideen macht Leadership wirksam und sichtbar. Wenn der Leader zu einem Kopf einer Bewegung (im eigentlichen Sinne des Wortes: etwas Bewegen) geworden ist, kann über die Dynamik und die Skalierung Veränderung bewirkt werden.

Was hat das nun alles mit der Transformation der Wirtschaft zu tun?

Die Faktenlage der Situation auf diesem Planeten ist eindeutig. Die Erwärmung geht rasch oder rascher² vonstatten und 10 Mrd. Menschen werden Ende des Jahrhunderts den Planeten bewohnen (nur um 2 der Fakten herauszustellen). Wir erleben eine nie dagewesene Welle an Initiativen, diesen Planeten auch für die übernächste Generation lebenswert zu erhalten. Diese Aktivitäten sind im Kontext mit geopolitischen Krisenherden etwas in den medialen Hintergrund gerückt, finden aber uneingeschränkt statt.

Die Sehnsucht nach Orientierung und Halt ist in Zeiten von VUCA³ und BANI⁴ sehr ausgeprägt. Fake News in den sozialen Medien tragen verstärkend dazu bei.

Gerade in einem solchen Umfeld ist Leadership gefragt und gesucht. Auf der politischen Bühne gibt es immer mehr als wählbar geltende „Führerfiguren“ und auch in der Wirtschaft sind starke Führungspersönlichkeiten gefragt.

In der Politik hat sich jüngst wieder eine Diskussion um eine „Leitkultur“ breitgemacht, die einer Gesellschaft eine Mitte und Orientierung geben soll. Gegen eine solche Orientierung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, allerdings sind viele politische Programme nicht von der Vision oder der Wertewelt her gefasst, sondern von Themen, die Wählerstimmen locken sollen – also eigentlich „das Pferd von hinten aufgezäumt“. Zudem werden die Themen so gefasst, dass sie möglichst viele ansprechen sollen, was allerdings dazu führt, dass ein solch breites Spektrum keine klare Haltung erkennen lässt.

Nutzenorientierte Unternehmen (B-Corps)

Um auf die wirtschaftliche Tangente wieder zurückzukehren: Das Konzept der „shared values (CSV)“⁵ ist eine mögliche Unternehmenspraxis, die der nötigen Transformation den richtigen Nährboden verleiht. Unternehmenspolitik und Geschäftsmodell orientieren sich an Werten und Maßnahmen, die die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen im Umfeld verbessern und somit die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Definiert wird Wert als Nutzen im Verhältnis zu den Kosten und nicht als Umsatz minus Kosten = Profit. Es geht schlichtweg darum, eine Balance zwischen ökonomischem, ökologischem und sozialem Erfolg zu finden. Im Gegensatz zur Corporate Social Responsibility (CSR) geht es nicht nur darum, etwas Gutes zu tun, sondern einen Gleichklang von ökonomischem und gesellschaftlichem Nutzen im Verhältnis zu den Kosten zu erzeugen.

Für die Umsetzung dieses breit gefassten wirkungsorientierten Wirtschaftens braucht es Anführer*innen, Führungskräfte, Leader, die bereit sind, diese Veränderung glaubhaft zu verkünden und umzusetzen.

Eine einzigartige Bewegung von Leadern dieses Couleurs hat sich beispielsweise in der „B for Good Leaders (BfGL)“⁶-Kooperation manifestiert. Die B-Corp Zertifizierung⁷ ist eine weltweit sehr begehrte und anerkannte Auszeichnung von Unternehmen, die im Sinne der oben angeführten Definition Benefit, also Nutzen stiften. Über 10.000 Unternehmen weltweit haben dieses Zertifikat bereits erlangt, ca. 120.000 Unternehmen haben um Zertifizierung angesucht. Führungspersönlichkeiten dieser Unternehmen haben sich im BfGL-Netzwerk zusammengeschlossen und tauschen so ihre Erfahrung aus und befruchten einander.

Diese Führungspersönlichkeiten leben eine neue Art des Wirtschaftens vor und haben Ihre Verantwortung neu definiert. Sie zeigen, dass ihre Unternehmen die besseren Mitarbeitenden erhalten, alle Stakeholder partizipieren lassen und trotzdem gute Erträge generieren – also eine Win-Win-Win-Situation erzeugen. Da soll noch jemand sagen, dass nachhaltig wirtschaften keine Freude bereiten kann!

Auffallend ist, dass sich unter den zertifizierten Unternehmen kaum Banken oder Versicherungen befinden. Ist da die Zeit stehen geblieben? Ist das Kapital des Finanzsektors nicht ein entscheidender Faktor zur Transformation der Wirtschaft? Wäre es nicht an der Zeit, wirkungsorientierte Geschäftsmodelle auch dort anzubieten, wie es einige wenige kleine Nischenanbieter bereits heute machen?⁸

Conclusio

Die Führungsrolle und -verantwortung verändert sich rapide. Viele Unternehmenslenker haben verstanden, dass sich Unternehmen an der Wirkung auf Umwelt, Gesellschaft und Ertrag orientieren müssen und haben ihre Wertewelt und Wurzeln darauf ausgerichtet. Mit dieser Einstellung schaffen sie eine Befruchtung der Stakeholder in ihrem Unternehmen: Mitarbeitende, Lieferanten, Finanziers, Kund*innen und Region. Wenn diese Geschäftspartner ebenfalls beginnen diese Wertewelt zu teilen, ist die Saat aufgegangen und die Transformation zu einer wirkungsorientierten Wirtschaft gelungen.

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¹ Creating Leadership collectives for sustainability transformations, Sustainable Finance (2021) 16: S. 705

² https://www.ipcc.ch/

³ VUCA: Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity

⁴ BANI: Brittle, Anxious, Nonlinear, Incomprehensible

⁵ Harvard Business Review January February 2011 Creating Shared Values Seite 6

⁶ https://www.bforgoodleaders.org/

⁷ https://www.bcorporation.net/

⁸ z.B. GLS Bank, Triodos, Alternative Bank, ALIA – Bankprojekt in Gründung

 

Leadership in Zeiten der Transformation zu einer wirkungsorientierten Wirtschaft

Dr. Johannes Ortner

ALIA AG

CEO & Co-Founder

Dr. Ortner hat 27 Jahre Erfahrung im Corporate Banking und im Management von Finanzinstituten in Österreich, Deutschland und der Schweiz, zuletzt als CEO der Raiffeisen Landesbank Tirol AG. Er hat das klassische Banksystem verlassen, um als Entrepreneur Veränderungen im Finanzsektor anzustoßen und startete gemeinsam mit einem professionellen Team das Projekt ALIA, Österreichs erste Impactbank (in Gründung). Nach dem Motto „Lasst uns Geld eine neue Richtung geben“ sollen saubere Mittel in saubere Projekte investiert werden mit einer positiven Wirkung (Impact) auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Er ist überzeugt, dass der Finanzsektor eine Schlüsselrolle für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft einnehmen muss – ohne Greenwashing und Greencashing. Er ist Eigentümer der Beratungsfirma J.O. Advisory, die Unternehmen bei Finanz-, Nachhaltigkeits- und strategischen Themen berät.

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