Die Kraft von Vertrauen, Wertschätzung und Empathie:
Ein Interview über Spiritualität im Management

Er führte 50.000 Mitarbeiter:innen in 1.500 Filialen auf Platz eins des heimischen Lebensmittelhandels – mit Vertrauen, Wertschätzung und Empathie. Im Interview erklärt SPAR-Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Drexel, wie Wirtschaft und Spiritualität einander beflügeln.

Was verbinden Sie mit dem Europakloster Gut Aich am Wolfgangsee?

Wir waren vor vielen Jahren auf der Suchen ach authentischen, regionalen Herstellern. Bei unseren Recherchen stießen wir auf Pater Johannes Pausch, den langjährigen Prior des Klosters. Gemeinsam haben wir großartige Produkte entwickelt – zunächst Gewürze und Tees – und ins Sortiment aufgenommen. Aus dieser geschäftlichen Zusammenarbeit wurden eine spirituelle Partnerschaft und tiefe Freundschaft. Wir erkannten, wie viel Wissen Pater Johannes uns vermitteln kann – und wie gut uns das tut.

Was haben Sie von den Benediktinern gelernt? Und was bedeutet das für Unternehmen?

Pater Johannes Pausch hat mir erklärt, wie Spiritualität im benediktinischen Sinne¹ zu verstehen ist – und das ist gar nicht kompliziert. Die Benediktiner sagen: Spiritualität ist Beziehung. Und Beziehung ist Spiritualität. Es kommt im Leben und damit auch im Management auf lebendige Beziehungen an. Wo lebendige Beziehungen praktiziert werden, wachsen die Menschen über sich hinaus. Dort bringen sie Spitzenleistungen. Und das mit Freude.

Spiritualität und Management – passt das wirklich zusammen?

Viele Manager meinen, sie müssen in erster Linie hart sein. Hart zu sich selbst, hart zu ihren Mitarbeitern und hart zu ihren Kollegen. Andere Führungskräfte wiederum praktizieren einen geistbefreiten, technokratisch-sterilen Führungsstil. Der fehlende Spirit wird dort durch Bürokratie und Reporting-Wahn ersetzt. Meine Erfahrung ist: Die Mitarbeiter wollen nicht eingeengt und nicht überbestimmt werden. Sie wollen berührt werden – von einer mitreißenden Vision, einer einzigartigen Strategie und empathischen Vorgesetzten. Die Mitarbeiter wollen den Spirit spüren und danach leben. So schließen Wirtschaft und Spiritualität einander nicht aus. Im Gegenteil: Sie beflügeln einander.

Wie entsteht dieser Spirit?

Durch Menschlichkeit. Durch Menschenfreundlichkeit, durch Wertschätzung und durch Empathie. Als Führungskraft sollte man außerdem auch gut zuhören können. Das ist übrigens ebenfalls eine benediktinische Tugend. Erst wenn man schweigt und den Mitarbeitern zuhört, fühlen sie sich zugehörig. Ich darf einen großen Österreicher zitieren, Viktor Frankl, den Erfinder der Logotherapie. Er hat gesagt, Werte kann man nicht lehren. Werte kann man nur vorleben. Werteorientiertes Führen muss an der Unternehmensspitze vorgelebt werden. Dann erfolgt Erfolg.

Da geht es im Kern auch um Vertrauen, richtig?

Vertrauen hat eine enorme Wirkmacht. Wir verlassen uns auf die Mitarbeiterinnen, die wir führen, ermächtigen die Mitarbeiter und holen sie dadurch aus ihrem Stand-by- Modus heraus. Die deutsche Erfolgsautorin Gertrud Höhler sagt: Vertrauen bindet, aber es fesselt nicht. Die Kultur des Vertrauens und der Wertschätzung ist der wichtigste Kitt in einem Unternehmen. Das haben wir doch alle schon x-mal erlebt. Wann sind wir am besten, wann sind unsere Mitarbeiter am besten? Wenn wir Vertrauen und Wertschätzung bekommen. Da geschieht eine geradezu magische Veränderung der Einstellung der Mitarbeiter zu ihrer Arbeit.

Inwiefern?

Man kommt vom Sollen zum Wollen. Denn das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen. Wenn wir das berücksichtigen, können wir in jedem Mitarbeiter den Champion wecken. Denn in jedem Mitarbeitenden steckt ein Champion. Man muss nur herausfinden, in welchem Bereich. Wenn das gelingt, entsteht ein sich selbst verstärkender, nicht mehr umkehrbarer Prozess. Es entfaltet sich der Winning Spirit, und dieser treibt das Unternehmen zum Erfolg. Das Schöne an dieser Methode ist: Das geht nicht zu Lasten der Mitarbeiter, sondern die Mitarbeiter erkennen den Sinn ihrer Aufgabe und sehen, dass das Unternehmen für sie da ist – und nicht umgekehrt. Mit dem Ergebnis: Sie fühlen sich geborgen, sind zufrieden, sogar glücklich.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel dafür geben? 

Gerne. Ich erzähle Ihnen eine nette Begebenheit, die ich erleben durfte. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke: Wir sind im Jahr 2020, im Dezember. Nach zehn Jahren gemeinsamer Anstrengung hatten wir es endlich geschafft, Marktführer in Österreich zu sein und diese Position auch über das ganze Geschäftsjahr zu halten. In meiner Mittagspause gehe ich durch unser Shoppingcenter, den Europark in Salzburg. Wir führen dort einen Interspar Hypermarkt, und da braucht es auch Einkaufswagenschieber. Das sind die Mitarbeiter, die die Einkaufswagen von den Parkplätzen in der Tiefgarage zurück zum Markteingang bringen. Die arbeiten also eher am unteren Ende unserer Unternehmenshierarchie. Und da gibt es einen Einkaufswagenschieber, den kannte ich vom Sehen, aber ich hatte mit ihm bis dahin noch nicht viel sprechen können, weil er Autist ist und deshalb generell wenig spricht. Ich gehe also durch die Mall, da kommt er mir mit einer Reihe von Einkaufswagen entgegen. Als er mich sieht, lässt er alles stehen, läuft auf mich zu, strahlt über das ganze Gesicht und sagt zu mir: „Wir sind die neue Nummer eins!“ Und er dreht sich wieder um und nimmt die Einkaufswagen und bringt sie vor den Geschäftseingang. Mich hat das so berührt. Dass ein Einkaufswagenschieber erstens einmal weiß, dass wir Marktführer geworden sind. Das braucht was, also da stimmt die Führung, das muss er ja von seinen Leuten – von seinen Kollegen oder vom Marktleiter – erfahren haben. Zweitens, dass er extra auf mich zugeht und mir das sagt und drittens von „wir“ spricht – nicht von „SPAR“ oder der „Firma“ oder von wem immer, sondern vom Wir. Das Wir-Gefühl, und das ist doch etwas Wunderschönes.

In Oberösterreich betreibt die Caritas² vier SPAR-Supermärkte, in denen beeinträchtigte Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden …

Diese Mitarbeiter arbeiten in einem realen Supermarkt und nicht in einer geschützten Werkstätte. Sie gewinnen dadurch an Wissen, Sicherheit und Stärke. Das ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte.

Ist spirituelles Unternehmertum eine Wohltätigkeitsveranstaltung?

Das ist es nicht. Wir leben alle in zum Teil heftigen Wettbewerbsverhältnissen. Aber gerade deshalb braucht es diesen Spirit. Wir wurden Marktführer, weil wir erstens auf dem Markt, also nach außen, sehr offensiv sind, sehr dynamisch. Und zweitens: weil wir nach innen sehr stabil sind. Die innere Stabilität ist die Voraussetzung für die Dynamik nach außen – und nicht umgekehrt. Unsere Stabilität nach innen, Personen, Strukturen usw. geben uns die Kraft und auch den Mut, draußen am Markt sehr offensiv aufzutreten.

Stichwort Dynamik: Wie gehen Sie mit Veränderungen um, die nicht Ihr Unternehmen treibt, sondern Ihnen der Markt aufzwingt?

Spirituell geführte Unternehmen wissen, dass sie sich ständig verändern müssen. Dabei hilft auch wieder eine Weisheit der Benediktiner: das Prinzip des guten Maßes. Wer Veränderungen verschläft, wird nicht überleben. Aber man darf auch nicht über das Ziel hinausschießen. Wenn man sich jeden Tag ständig und hektisch verändert und keinen Stein auf dem anderen lässt, läuft man ebenfalls Gefahr unterzugehen. Deshalb: das gute Maß – sich dem Wandel anzupassen und dabei seinem Markenkern treu zu bleiben.

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¹ Im Europakloster Gut Aich leben die Mönche nach der „Regula Benedicti“, die Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert verfasst hat. Neben Vorgaben zum Lebenswandel, zu Gebet und der persönlichen Armut beinhaltet diese auch den Grundsatz des benediktinischen Lebens „Ora, labora et studia“ – „Bete, arbeite und studiere“.

² Die Perspektive Handel Caritas gGmbH ist ein gemeinnütziges Unternehmen und betreibt Supermärkte in Oberösterreich (vier Filialen), Kärnten, Niederösterreich und Wien. In den Märkten erhalten sozial benachteiligte, schwer vermittelbare und arbeitsmarktferne Personen eine Ausbildung und Qualifizierung. Ziel ist die langfristige Integration dieser Menschen in den Arbeitsmarkt.

Text: Alexander Müller-Macheck & Nikolaus Nussbaumer

Dieses Interview erschien ursprünglich im Magazin „Grüß Gott” im Herbst 2023 und wurde dem LKA von Dr. Gerhard Drexel zur Verfügung gestellt.

 

Die Kraft von Vertrauen, Wertschätzung und Empathie: Ein Interview mit Dr. Gerhard Drexel über Spiritualität im Management

Dr. Gerhard Drexel

SPAR AG

Aufsichtsratvorsitzender

ist verheiratet mit Andrea und Vater von fünf Kindern, war 20 Jahre lang Vorstandsvorsitzender der Supermarktkette SPAR Österreich und damit Chef über 3.000 Filialen (1.500 davon in Österreich) und 90.000 Mitarbeiter (50.000 davon in Österreich). Anfang 2021 wechselte er altersbedingt in den SPAR-Aufsichtsrat. In seinem Buch „Auf den Spirit kommt es an“ schreibt Gerhard Drexel über die Verbindung von Spiritualität und Wirtschaft.

https://www.dioezese-linz.at/gruessgott-magazin/23-02Die Kraft von Vertrauen, Wertschätzung und Empathie: Ein Interview mit Dr. Gerhard Drexel über Spiritualität im Management